Heute machen wir eine kleine Exkursion. Einen Field Trip sozusagen. Kurz zusammengefasst: Wolkenverhangener Himmel, -6 Grad, ein altes Armeegelände, der Fotograf, sein Model und ein knapp 300 Kg schweres Motorrad. Die Aufgabe war, ein Motiv zu entwerfen, das ein paar Wochen später als möglichst aufsehenerregendes Plakat auf ein Treffen mit etlichen hundert Harley-Davidson Enthusiasten im grenznahen Belgien aufmerksam machen sollte.
Für alle, die sich im Wesentlichen auf die Betrachtung von Bildern konzentrieren, sei gesagt: Die Entstehung eines Motivs ist oft nicht so locker und einfach, wie das fertige Bild es vielleicht vermuten ließe. Manchmal wünsche ich mir wärmere Gefilde. Oder zumindest Budgets, die eine Umsetzung der Aufträge unter besseren Bedingungen ermöglichen. Beides blieb hier Wunschträumen. Wie so oft.
Wie immer im (Fotografen-) Leben hieß es also auch an diesem Sonntagmorgen: Anpacken und das Beste aus den vorliegenden Gegebenheiten machen. Rumweinen war keine Option. Von der ersten Idee bis zur Druckreife des Kampagnenplakats blieben gerade einmal ein paar Tage.
Ausschlafen und ein gemütliches Frühstück? Oder ein heiliger Kirchgang sogar? Geschenkt. Stattdessen parkten wir, noch von der mollig warmen Autokarosserie geschützt, im trostlosen Niemandsland. Einmal draußen, musste alles schnell gehen, dessen war ich mir bewusst. 10 Minuten maximal würde ich meinem Model zumuten können, bevor die Schock- bzw. Froststarre jeden einzelnen Gesichtszug lähmt. Für die Vorbereitungen war ich also ganz alleine zuständig. Gemessen an dem Umstand, dass ich meine komplette Körperfülle (65 Kg) in den Ring werfen musste, um es mit 300 Kg Maschinenstahl aufzunehmen, wusste ich, dass es kein leichtes Unterfangen werden würde.
Eine knappe halbe Stunde später stand "das Set". Die Harley hatte ich mit Mühe uns Not aus dem Transporter "operiert". Ohne technischen Collateralschaden. Aber, wie sich später herausstellen sollte, mit zwei Muskelzerrungen im rechten Oberarm und in der Schulter. Wer jemals ein solches Bike bewegt hat , weiß, wovon ich rede. Zeit für kalte Hände bieb dabei Gott sei Dank nicht.
Nun wars also soweit. Der Kältecountdown war angezählt. Mein Model Petra hatte die Zeit im Auto bereits genutzt, um sich für das Motiv "in Schale zu werfen". Apropos Schale: Ehrlich gesagt hätte jede Staudenbanane an diesem Tag mit einem dickeren Fell protzen können. Mein mea culpa geht übrigens noch an alle Umweltaktivisten: Wir haben gesündigt! Aber ohne den permanent laufenden Motor unseres Transporters hätte uns auch die majestätische Natur nicht mehr retten können.
T-10 Minuten. Jetzt ging alles ganz schnell. Die verbleibenden Minuten liefen für mich ab wie in Trance. Ich musste alles um mich herum ausblenden, um konzentriert die wertvollen Bits- und Bytes auf den Kamerachip zu bekommen. Während Petra schon ihren "Posten" einnahm, warf ich noch letzte Regieanweisungen durch den Nebel. Von da hatte der "Burst Mode" - die Serienbildfunktion meiner Nikon - das Sagen. 6-7 Bilder pro Sekunde mussten gesehen und geschrieben werden. Ich wechselte dabei stetig meine Blickwinkeln und die Perspektive zum Set, um möglichst jeden Aspekt der Bildsprache herauszuarbeiten. "Klasse, ja, weiter. Komm, noch zwei, drei Bilder, dann haben wir's im Kasten. Petra kennt mich und wusste, dass es, auch nach 200 geschossenen Aufnahmen, natürlich nicht die letzten "zwei, drei" gewesen sind. Durchhalteparolen sind wichtig, so kommt man schneller auf die Zielgerade.
Geschafft. Eine Wagenladung Rohmaterial in unter 10 Minuten. Das war rekordverdächtig! Schnell einen wärmenden Mantel über die kalten Knochen werfen und im Laufschritt ab zum Auto. Der Motor lief ja noch. Zufrieden, stolz und glücklich waren wir beide nicht nur über das vorgelegte Tempo. Der entbehrungsreiche Einsatz sollte sich später auszahlen. Denn erst beim Sichten der Bilder wurde der eigentliche "Charme" des Momentes sichtbar. Und fühlbar. Wer weiß, vielleicht wäre der Ausgang bei + 30 Grad ein ganz anderer gewesen.