VON JUNG UND ALT - UND ALLEM DAZWISCHEN
Ist Euch schon mal aufgefallen, dass man, wenn man älter wird (also irgendwo im Bereich 40+), andauernd über das Alter reden muss? Ok, an der Schwelle zur Volljährigkeit war das auch so. Da ging's allerdings meist und hauptsächlich um eine Legitimationsfrage, um den Nachweis des Alters wenn's denn Unternehmungen oder Örtlichkeiten betraf, die einem als Teenager noch verwehrt waren. In den folgenden Jahren wurden wir scheinbar alterslos. Wir gehörten überall dazu und waren mit der Gesellschaft im Reinen. Alles Easy. Auf dem Weg zu den Enddreißigern, wehte plötzlich ein anderer Wind. Da wurde Alter plötzlich zum Thema und blieb fortan Gesprächsstoff. Ganz besonders hart traf und trifft das die Mädels. Auf dem Weg zu Frau, Ehefrau und Mutter bleibt offensichtlich nur ein mickrig kleines Zeitfenster, in dem sich das weibliche Geschlecht gesellschaftlich toleriert frei "bewegen" darf. Immer reduziert auf das Äußere. Das ist mein Thema, besonders als Fotograf.
Aber warum philosophiere darüber? Der Anlass ist ein aktueller. In den letzten Tagen tauschte ich im Zuge der Vorbereitungen für eine private Fotostrecke einige Nachrichten aus. Mit einer Frau, die anfragte, ob ich nicht auch von ihr mal so richtig tolle Bilder machen könnte. Ich rede bewusst von "Frau". Nicht von junger Frau, nicht von einem Mädel. Und jetzt wisst ihr wahrscheinlich was kommt: Wir reden vom Alter! Denn ab 40+ gibt's kein "jung" mehr in der Personenbeschreibung. Die letzte, fast schon deprimierte, Nachricht von ihr lautete ungefähr so: "Mensch, du hast so viele junge und hübsche Modelle vor Deiner Kamera, da mache ich mir schon den Kopf drüber".
PFIRSICHHAUT UND PRALLE BRÜSTE
Wie ich weiter oben schon schrieb: Das ist mein Thema! Nicht nur, weil ich als Fotograf, würde ich bedingungslos dem Mainstream folgen, nur gesellschaftlich "freigegebene" attraktive und junge Menschen vor meine Kamera lassen dürfte. Na klar, denn falsch machen kann man da sicher nichts. Bereits zu Beginn meiner Karriere musste ich immer Überzeugungsarbeit leisten. Weil schon damals (in meinen Endzwanzigern) Frauen mit dem Wunsch nach tollen Bildern zu mir kamen, denen das Attribut "jung" im Titel bereits aberkannt wurde. Ich konnte alle überzeugen. Mit Mut machenden Worten und, noch viel eindrucksvoller, mit richtig geilen Bildern, die keine "junge" Frau und auch keine Mädel jemals so hinbekommen hätte. Das Rezept für intensive und einzigartige Bilder setzt sich nämlich nicht alleine aus Pfirsichhaut und prallen Brüsten zusammen. Mit Charakter und Lebenserfahrung kocht man die Suppe sehr viel schmackhafter. Wie ich meiner zukünftigen "Klientin" gestern schrieb: "Meine Arbeiten haben keine Alterseinschränkung. Über 80 Prozent meiner Bilder werden von Ehefrauen, Mütter und Großmütter angefragt. Mach Dir also keine Kopfschmerzen. Ich selber werde 53 und weiß, wovon ich rede. Außerdem werden wir sicher keine Konkurrenzbilder für 25-Jährige Mädels machen."
FOTOGRAFEN - ERFÜLLUNGSGEHILFEN DES JUGENDWAHNS?
Fotografie ist (und war) diesbezüglich schon immer ein zweischneidiges Schwert. Die Frage für mich war nie, welche Seite der Klinge man in den Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz führen sollte. Nicht als Fotograf. Nicht als Mensch. Meine Wahl ist eine Doppelklinge - an beiden Seiten messerscharf. Und mit dieser Waffe lehre ich bis heute vielen das Fürchten. Gegen Diskriminierung. Gegen Bigotterie. Gegen Rechtfertigungen und für Selbstbestimmtheit. Egal in welchem Alter. Und damit es hier nicht nur bei philosophischen Gedankenspielen bleibt, zeige ich Euch jetzt noch ein paar Bilder von mir. Die habe ich mir zu meinem 50. Geburtstag geschenkt. Mit erklärenden Worten, warum ich dazu die Rollen gewechselt habe. Reden können wir alle viel. Den Unterschied machen wir aber, wenn wir "machen"! Und komm mir jetzt niemand mit "Du kannst es dir ja leisten, du bist schlank und (für dein Alter) noch ziemlich ansehnlich". Ich kann solche Ausschluss-Vergleiche in diesem Kontext nicht mehr hören. Denn die führen schlussendlich nur dazu, dass wir wieder von vorne beginnen mit dem beschränkten Diskurs über Biologie und Anatomie. Ich möchte vielmehr über das eigene Selbstwertgefühl reden, Und über den "Arsch in der Hose", endlich Flagge zu zeigen. Mit Bildern, die einfach etwas lauter und etwas mutiger sind.
WAS DU NICHT WILLST, DAS MAN DIR TU'
50 Jahre Lebensalter. 40 Jahre intensive Verbundenheit mit der Fotografie. Hunderte Frauen und einige wenige Männer standen (und stehen) bis heute vor meiner Kamera. Vom normalen Bewerbungsfoto über sehr private Fototermine bis hin zu großen Inszenierungen: Die Vielfalt der Charaktere und Motive begeistert mich bis heute. Natürlich stellte ich mir im Laufe meines Fotografenlebens immer wieder Fragen wie: „Hast du alles richtig gemacht? Warst du sensibel genug in Situationen, in denen die Menschen vor deiner Kamera ihre Hüllen fallen ließen? Hast du vieles vielleicht als zu selbstverständlich vorausgesetzt, ihnen zu viel kreative Energie zugemutet? Hast du sie überfordert mit deinen Ideen für DAS eine, preisverdächtige Wahnsinnsmotiv?" Rückblickend hoffe ich das natürlich nicht. Ich glaube aber, dass es jetzt an der Zeit ist, einmal die Rollen zu tauschen, die Kameraführung anderen zu überlassen und deren Ideen zu folgen. Auch für das eigene Selbstverständnis.
Der 50. Geburtstag markierte für mich also einen kleinen Meilenstein. Bisher waren es immer „die anderen“, die hüllenlos bei frostigen minus 6 Grad im Freien für meine Ideen „brannten“ und bisweilen mehr oder weniger nackt in den Untiefen modriger Waldseen standen. Bis ich zufrieden war mit der Umsetzung meiner Idee. Und ja, ich werde es weiter wagen. Die bisher immer schützend-verdeckende Kleidung hänge ich dazu ab und an mal an den Nagel. Für andere Ideen. Für andere Sichtweisen. Um leibhaftig zu spüren, wie es sich anfühlt, Seele und Körper zu entblößen. Nicht zuletzt aus Respekt und Wertschätzung für das bedingungslose „Engagement“ der Frauen, Männer, Mädels und Jungs, die mir in all den Jahren ihr Vertrauen geschenkt haben.“