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Mein Porträt-Trauma


Nichts verabscheue ich mehr als klassische Porträts aus dem Handbuch. Verkrampft auf dem Stuhl hocken, Schulter leicht eingedreht und einseitig abgesenkt, das aufgesetzte Lächeln ins angestrengte Gesicht gemeißelt. “Mein Sohn, wir gehen heute zum Fotografen, du brauchst schöne Bilder für deine Bewerbungen.” Solche Aufforderungen meiner Mutter hörte ich in den 80ern oft. Es waren selbstredend nicht immer nur Bewerbungsbilder. Da mussten natürlich auch Fotos für Omma zu Weihnachten her. Schmalzig drapiert mit Schwesterherz auf einem abgrundtief scheußlichen Perserteppich mit fast schon gewalttätig-schlimmem Hintergrund. Ich rieche die spießbürgerliche Atmosphäre heute immer noch. Meiner Mutter (und auch Omma) gefielen die Bilder gut. Der Fotograf hat sich schließlich richtig Mühe gemacht. Und wurde dafür natürlich auch fürstlich entlohnt. Diese Erfahrungen haben mich in späteren Jahren wohl zum unangepassten “Bilderrebellen” gemacht. Nie mehr diesen schnulzigen Kram. Handbuch-Fotografen scheue ich seither wie der Teufel das Weihwasser. Weil es auch anders geht. Ohne kreative Klimmzüge und kitschigem Brimbamborium. Weil einfach einfach einfach ist. Ein Porträt bildet eine Person ab. Soviel ist Konsens. Für mich muss ein Porträt aber zwingend Charakter haben, individuell und unverwechselbar sein. Und das gelingt ganz hervorragend auch ohne ein kitschiges Puppenstuben-Ambiente aus den Achtzigern. Ich nenne es “Six Degrees Of Simple”📸😎😇



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